Tana French by Sterbenskalt

Tana French by Sterbenskalt

Autor:Sterbenskalt [Sterbenskalt]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-04-22T12:58:11+00:00


»Ja. Klar. Toll. Ist sie bestimmt. Aber diesmal, Liv, diesmal ist sie absolut falsch. Diesmal ist die unkomplizierte Erklärung eine verdammte Farce.«

Einen Moment lang sagte Olivia nichts, und ich fragte mich, ob sie begriffen hatte, wer die unkomplizierte Erklärung gewesen sein musste, bis Kev seinen Kopfsprung machte. Dann sagte sie sehr bedächtig: »Du hattest Kevin lange nicht gesehen. Kannst du dir absolut sicher sein —«

»Ja. Ja. Ja. Ich bin mir absolut sicher. Ich hab die letzten paar Tage mit ihm verbracht. Er war derselbe Mensch wie damals, als wir Kinder waren. Schickere Frisur, ein paar Zentimeter größer und breiter, aber er war derselbe Mensch. Bei so was kann man sich nicht vertun. Ich weiß alles Wichtige, was es über ihn zu wissen gab, und er war kein Mörder und kein Selbstmörder.«

»Hast du versucht, das Rocky klarzumachen?«

»Natürlich hab ich das. Ich hätte genauso gut mit der Wand reden können. Es war nicht das, was er hören wollte, also hat er es nicht gehört.«

»Und wenn du mal mit seinem Vorgesetzten sprichst? Würde der dir zuhören?«

»Nein. Um Gottes willen, nein. Das wäre das Schlimmste, was ich machen könnte. Rocky hat mich schon gewarnt, ihm bloß nicht ins Gehege zu kommen, und er wird mich genau beobachten, damit ich mich auch dran halte. Wenn ich was über seinen Kopf hinweg mache, vor allem wenn ich mich in irgendeiner Weise einmische, die ihm seine kostbare Aufklärungsquote versauen könnte, schaltet er erst recht auf stur. Also was soll ich tun, Liv? Was? Was soll ich machen?«

Olivia betrachtete mich, nachdenkliche graue Augen mit verborgenen Winkeln. Sie sagte sanft: »Vielleicht wäre es am besten, wenn du dich aus der Sache raushältst, Frank. Nur für ein Weilchen. Was sie auch sagen, es kann Kevin nichts mehr anhaben. Sobald sich die Wogen geglättet haben …«

»Nein. Kommt gar nicht in Frage. Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie sie ihn zum Sündenbock machen, bloß weil er tot ist. Er kann sich nicht mehr wehren, aber ich kann das verdammt nochmal für ihn machen.«

Eine leise Stimme sagte: »Daddy?«

Wir fuhren beide zusammen, als hätten wir an eine Hochspannungsleitung gepackt. Holly stand in der Tür, in einem zu großen Hannah-Montana-Nachthemd, eine Hand an der Klinke und die Zehen auf den kalten Fliesen eingerollt. Olivia sagte rasch: »Geh wieder ins Bett, Schätzchen. Mummy und Daddy unterhalten sich bloß.«

»Du hast gesagt, jemand ist gestorben. Wer ist gestorben?«

Auch das noch. »Schon gut, Schätzchen«, sagte ich. »Bloß jemand, den ich kenne.«

Olivia ging zu ihr. »Es ist mitten in der Nacht. Geh ins Bett. Morgen früh reden wir alle zusammen darüber.«

Sie versuchte, Holly zur Treppe umzudrehen, aber Holly klammerte sich an der Klinke fest und blieb stur. »Nein! Daddy, wer ist gestorben?«

»Ins Bett. Sofort. Morgen können wir —«

»Nein! Ich will es wissen!«

Früher oder später würde ich es ihr erzählen müssen. Gott sei Dank wusste sie schon, was Tod bedeutet: Goldfische, ein Hamster, der Großvater ihrer Freundin Sarah. So ein Gespräch hätte ich nicht auch noch bewältigen können. »Deine Tante Jackie und ich haben einen Bruder«, sagte ich - immer schön einen längst verlorengeglaubten Angehörigen nach dem anderen.



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